Lieber Gandalf,
bestimmt werden dich unsere Worte nicht erreichen. Bestimmt wird man den Brief an dich einfach wegwerfen. Dabei wünschen wir uns so sehr, dass du etwas von der Liebe spürst, die wir für dich in unseren Herzen tragen. Wir kennen uns nicht, aber die Menschen hassen ohne Grund, warum sollten wir dich dann nicht einfach lieben ohne Grund. Bestimmt gibt es viele Gründe, dich lieb zu haben. Seit wir von dir und deinem Schicksal erfahren haben, denken wir immerzu an dich. Wie es dir wohl gehen muss. Man kann es sich nicht ausmalen. All deine Eigenheiten, was dich ausmacht, durften nie lebendig werden. Du durftest nicht sein, wer du bist. Du durftest nicht glücklich sein. Stattdessen tut man dir furchtbare Dinge an. Es tut uns so unendlich leid.
Wir können nicht verstehen, wie Menschen jemanden wie dir so etwas antun können. Wie können sie lernen, deinem traurigen Blick auszuweichen? Wie können sie nicht beschämt sein, wenn sie sich deine Einsamkeit vor Augen führen? Wie geht das überhaupt, kein Mitgefühl zu empfinden? Stellen wir uns nur eine Sekunde vor, wie es wäre, an deiner Stelle zu sein, dann bekommen wir Angst, uns kommen die Tränen, wir spüren Verzweiflung, können kaum atmen und es tut so weh. Während wir die letzten 20 Jahre gesungen, gefeiert, gearbeitet, geheiratet haben, Fußball geschaut, Urlaub gemacht, Nachrichten geschaut, uns mit Menschen ausgetauscht, um Freunde getrauert haben, neue Menschen kennengelernt haben, Bücher gelesen, Tiere gestreichelt, Pläne geschmiedet haben und umgezogen sind, in all der Zeit kanntest du nichts, als deinen großen Kummer in einem viel zu kleinen Gefängnis.
Warum tun Menschen dir das an? Es gibt diesen Spruch: Gewohnheit versöhnt die Menschen mit den schlimmsten Gräueltaten. So ist es und so war es schon immer. Aber Menschen sind auch fähig, zu lieben und Mitgefühl zu empfinden. Außerhalb deiner Mauern gibt es Menschen, die für dich kämpfen. Die versuchen, dich aus dieser schrecklichen Gefangenschaft zu befreien. Wir möchten, dass sich in den Herzen derer, die dir das antun etwas regt. Dass sie anfangen, sich und ihre Taten zu hinterfragen. Momentan sieht es nicht danach aus, als könnten wir ihnen vermitteln, dass ihr Handeln grausam und unethisch ist. Sie scheinen auch nicht von dem Kummer, den sie auslösen berührt zu sein.
Aber du wunderbarer, lieber Gandalf, wir werden nicht aufhören, für dich zu kämpfen. Für dich und alle Opfer, die unter menschlicher Grausamkeit leiden. Du hast verdient, deinen Lebensabend dort zu verbringen, wo man dich nicht zum Forschungsprojekt degradiert, wo du aufrichtig wertgeschätzt wirst, wo man dir nicht deine Würde nimmt. Wo deine kleine gebrochene Seele ein wenig Ruhe finden kann.
In Liebe
Sabine und Neil
Erbsenschreck
